Variable Lichtgeschwindigkeit in der Allgemeinen Relativitätstheorie

Gelegentlich wird aus der Rotverschiebung im Gravitationsfeld gefolgert, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht konstant sondern ortsabhängig ist. Zur Begründung werden Arbeiten von Einstein aus den Jahren 1907 und 1911 herangezogen, in der eine variable (d.h. ortsabhängige) Lichtgeschwindigkeit eingeführt wird. Dies wird dann als “innerer Widerspruch” und als “Widerlegung der Relativitätstheorie” gewertet, da die RT doch die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit postuliere. Tatsächlich besteht jedoch kein Widerspruch - selbst wenn es in der voll entwickelten ART von 1916 eine variable Lichtgeschwindigkeit gibt. Alle scheinbaren Widersprüche verschwinden aber, wenn der Unterschied zwischen lokal und nicht-lokal berücksichtigt wird.

1 Einsteins Arbeit von 1911

In seiner Arbeit "Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichtes", Annalen der Physik 35, 898 (1911) stellt Einstein Untersuchungen zur Schwere der Energie an. Grundlage ist dabei das Äquivalenzprinzip:

Ein in einem homogenen Schwerefeld (Schwerebeschleunigung γ) ruhendes Koordinatensystem K und ein zweites Koordinatensystem K’, das sich in einem von Gravitationsfeldern freien Raume befindet und eine gleichförmig beschleunigte Bewegung (Beschleunigung γ) ausführt, sind in Bezug auf alle physikalischen Vorgänge gleichwertig.

Einstein führt folgendes Gedankenexperiment in einem homogenen Gravitationsfeld aus:

Von S2 wird Energie durch Strahlung nach S1 übertragen. Es wird unter Verwendung des Äquivalenzprinzips gezeigt, dass für die ausgesendete und die empfangene Energie gilt:

(       )      (      )

Daraus folgert Einstein weiter:

       (      )      (      )

f1 = f2 ⋅ 1+ gh2 = f2 ⋅ 1+ Φ2

            c             c

Dies ist die Beziehung für die Gravitations-Rotverschiebung. Unter der Annahme, dass diese Beziehung auch für inhomogene Felder gilt, ergibt sich für Licht mit einer Frequenz f0, das von der Sonne ausgeht, dass es auf der Erde mit einer Frequenz

     (      )

          Φ-

f = f0 1+ c2

registriert wird. Für die Rotverschiebung der Spektrallinien ergibt sich

f0 --f  - Φ       -6

 f0   =  c2  ≈ 2⋅10

Weiter folgert Einstein, dass die Uhren bei S2 und bei S1 unterschiedlichen Gang haben müssen:

"Die Uhren in S1 und S2 geben also nicht beide die ’Zeit’ richtig an. Messen wir die Zeit in S1 mit der Uhr U, so müssen wir die Zeit in S2 mit einer Uhr messen, die 1 + Φ∕c2 mal langsamer läuft als die Uhr U, falls sie mit der Uhr U an derselben Stelle verglichen wird."

Da bei der Messung der Lichtgeschwindigkeit auch Zeitmessungen vorzunehmen sind, schließt Einstein nun:

"Hieraus ergibt sich eine Konsequenz von für diese Theorie fundamentaler Bedeutung. [...] Nennen wir c0 die Lichtgeschwindigkeit im Koordinatenanfangspunkt, so wird daher die Lichtgeschwindigkeit c in einem Orte vom Gravitationspotential Φ durch die Beziehung

       (    Φ )

c = c0 ⋅ 1 + 2

            c

gegeben sein. Das Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gilt nach dieser Theorie nicht in derjenigen Fassung, wie es der gewöhnlichen Relativitätstheorie zugrunde gelegt zu werden pflegt."

Aus dieser ortsabhängigen Lichtgeschwindigkeit leitet Einstein für die Lichtablenkung im Gravitationsfeld folgende Beziehung her:

α = 2GM--

     c2R

Dies steht im Widerspruch zum experimentellen Befund:

α = 4GM--

     c2R

Die angegebene Beziehung für die Ortsabhängigkeit von c ist also falsch. Der Grund dafür ist, dass Einstein 1911 nur mit "gekrümmter Zeit" aber noch mit einem flachen Raum arbeitet. Erst die Berücksichtigung der gekrümmten Raumzeit führt 1916 zu richtigen Resultaten.

Zusammengefasst:

2 Volle ART (1916)

In seiner Arbeit “Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie”, Annalen der Physik 49, 769 (1916) legt Einstein die erste voll entwickelte Fassung der ART vor. Hierin werden die Fehler von 1911 korrigiert.

Diese Punkte sollen im Folgenden weiter ausgeführt werden. Dabei wird folgende Situation zugrunde gelegt:

B sei ein Punkt außerhalb des statischen Gravitationsfeldes eines Körpers der Masse M (das bedeutet praktisch: er ist hinreichend weit entfernt) und A sei ein Punkt in der Nähe der Masse M. Als Beispiel kann die Sonne betrachtet werden.

2.1 Die Metrik

Ein Beobachter in B benutzt ein Koordinatensystem KS mit Koordinaten  μ

(x ) = (    i)

 ct, x. In seinen Koordinaten misst der Beobachter B das Wegelement

ds2 = gμνdxμdxν

Ein Beobachter in A benutzt ein lokales Inertialsystem mit Koordinaten (X α)= (     )

 cT, Xi, das relativ zu KS ruht. In den lokalen Koordinaten misst der Beobachter A das Wegelement

ds2 = c2dT2 - dX2

In linearer Näherung für schwache Felder gilt:

  2   (    2Φ)  2 2  (    2Φ )   2   2  2     2

ds  =  1+  c2- c dt -  1- -c2-  dx = c dT - dX

Weiter gilt in dieser Näherung

        ∘----2Φ       (    Φ-)

cdT   =  1 + c2 cdt =  1 + c2 cdt

        ∘ ------      (    Φ )

 dX   =   1- 2Φc2 dx =   1 - -2 dx

                           c

Dies kann von B aus - unter Beibehaltung einer flachen Raumzeit - so gelesen werden, als gingen die Uhren in der Nähe der Masse langsamer und als schrumpften Maßstäbe in ihrer Nähe.

2.2 Gravitations-Rotverschiebung

Das Wegelement dsUhr = cdτ einer Uhr bestimmt die Anzeige τ der Uhr. Für eine Uhr im Gravitationsfeld gilt

     dsUhr   (1∘ ------------)

dτ = --c-- =  c  gμν(x)dxμdxν

                              Uhr

Für eine ruhende Uhr (dxi = 0) wird daraus

     ∘------

dτ =  g00(x)dt

Eine bei A ruhende Quelle sende eine monochromatische elektromagnetische Welle aus. Diese Welle werde von einem bei B ruhenden Empfänger beobachtet. Bei der Quelle und beim Empfänger ruhende Uhren zeigen die Eigenzeiten an:

     ∘ -------          ∘ -------

dτA =  g00(⃗rA )dtA ; dτB =  g00(⃗rB )dtB

Als Zeitintervalle werden die Perioden der elektromagnetischen Schwingungen bei A und B betrachtet:

dτ  = -1-; dτ =  1--

  A   fA     B   fB

Unter Berücksichtigung von dtA = dtB folgt

     ∘ -------

fA-    g00(⃗rB-)

fB =   g00(⃗rA )

Für schwache Felder (       )

 |Φ | ≪ c2 mit g00 = 1 + 2Φ∕c2 ergibt sich daraus

fA-= 1+ ΦA---ΦB-

fB          c2

Experimentelle Bestätigungen dieser Gravitations-Rotverschiebung sind

a) Messungen von Pound/Rebka/Snider an Strahlung im Erdfeld
b) Messungen der Verschiebung von Spektrallinien im Sonnenspektrum.

Weitere Angaben und Referenzen zu den Experimenten finden sich in:  http://arxiv.org/abs/gr-qc/0510072  .

2.3 Lichtgeschwindigkeit

Die Lichtgeschwindigkeit bei A ergibt sich wie folgt:

in A gemessen:

ds2 = 0
 2  2     2

c dT  = dX
cA(in A gemessen) = dX ∕dT = c

Das bedeutet (wie oben schon erwähnt): In Lokalen Inertialsystemen ist die Lichtgeschwindigkeit konstant, und lokale Messungen ergeben stets den Wert c = 2,99792458 108 m/s.

in B gemessen:

 2

ds = 0
(      )     (      )
                                  2

cA(in B gemessen) = dx∕dt = c ⋅ 1+-Φ∕c2

                            1- Φ∕c
(    2Φ )

Die Ortsabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit darf nicht im Sinne von Einsteins Arbeit aus dem Jahre 1911 verstanden werden. Dort wird die Veränderlichkeit der Lichtgeschwindigkeit als lokal beobachtbar verstanden, was aber nur vorläufig sein konnte. Die Bedeutung der Gleichung cA = c (1+ 2Φ ∕c2) (1916) ist eine andere: Diese Gleichung ist nicht-lokal, sie beschreibt die Lichtgeschwindigkeit in einem vom Beobachter entfernten Punkt im nicht-lokalen Koordinatensystem des Beobachters.

Natürlich misst der Beobachter bei A keine lokale Veränderung der Lichtgeschwindigkeit in seinem lokalen Bezugssystem. Er kann die Beziehung für cA daher nicht für seine lokale Lichtgeschwindigkeit benutzen.

Der Unterschied von

       (    2Φ)

cA = c⋅ 1 + -2-   (1916)

            c

zu

      (    Φ-)

cA = c⋅  1+ c2   (1911)

ist der Faktor 2 beim Gravitationspotential. Die Rotverschiebung erlaubt keine Entscheidung, welche der beiden Beziehungen die richtige ist. Die Beziehung (1911) für die variable Lichtgeschwindigkeit ist natürlich konsistent mit der Gravitations-Rotverschiebung, da sie ja aus dieser abgeleitet wurde. Die Umkehrung gilt dagegen nicht, wie die Herleitung der Gravitations-Rotverschiebung in 2.2 zeigt: Die Gravitations-Rotverschiebung beruht auf der gekrümmten Raumzeit, und nicht auf einer lokalen Veränderlichkeit der Lichtgeschwindigkeit .

2.4 Lichtablenkung

In seiner Arbeit von 1911 kommt Einstein zu folgendem Schluss:

“Aus dem soeben bewiesenen Satze, dass die Lichtgeschwindigkeit im Schwerefelde eine Funktion des Ortes ist, lässt sich leicht mittels des Huygens’schen Prinzipes schließen, dass quer zu einem Schwerefeld sich fortpflanzende Lichtstrahlen eine Krümmung erfahren müssen.”

Die folgende Herleitung des Ablenkungswinkels ist angelehnt an die Darstellung Einsteins in: “Grundzüge der Relativitätstheorie” (erweiterte Auflage der “Vier Vorlesungen über Relativitätstheorie” 1921). Es wird folgende Anordnung betrachtet: Die Masse M befinde sich im Koordinatenursprung. Ein Lichtstrahl passiert die Masse im Abstand x1 = R und verläuft parallel zur x3-Achse. Dann ergibt sich der Ablenkungswinkel aus

    ∫∞

α =    -1--∂c′(⃗r)dx

       c′(⃗r) ∂x1   3

   - ∞

Die beiden Beziehungen für die ortsabhängige Lichtgeschwindigkeit werden wie folgt zusammengefasst:

              (       Φ(⃗r))

c′(⃗r)    =    c  1+ k⋅ -2--

                       c

      k = 1 : 1911

      k = 2 : 1916

Mit dem Newton’schen Gravitationspotential

Φ (⃗r) = - GM- = -∘----GM------

          r       x21 + x22 + x23

ergibt sich:

    ′

1-∂c-- =   1k-∂Φ--

c′∂x1      c′ c∂x1

           1k-----GM--x1-----

       =   c′ c(x2+ x2+ x2)3∕2

             GM 1x  2   3 1

       ≈  k ⋅---2-1------------3∕2-

               c   (x21 + x22 + x23)

Für die Integration ist x1 = R, x2 = 0:

               ∫∞

         GM--R-   -----1-----

α  =   k⋅  c2     (R2 +x2)3∕2dx3

              - ∞(        3   )∞

         GM--R-   ----x3-----

   =   k⋅  c2  ⋅  R2∘R2--+x2-

                            3 -∞

   =   k⋅ 2GM-

          c2R

Über den Faktor k entscheidet das Experiment. Das erste durchgeführte Experiment war die Beobachtung der Sonnenfinsternis 1919 (Eddington). Seitdem wurden weitere Untersuchungen mit verbesserter Genauigkeit durchgeführt, z.B.:

Alle Messungen ergeben, dass der Ablenkungswinkel in Übereinstimmung mit

α = 4GM--

     c2R

ist. VLBI-Messungen haben eine Übereinstimmung mit einer Genauigkeit von 0,02% erreicht.

Somit ist k = 2, und es trifft die Ortsabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit nach der Beziehung c= c(        2)

 1 + 2Φ∕c (1916) zu.

Weitere Angaben und Referenzen zu den Experimenten finden sich in:  http://arxiv.org/abs/gr-qc/0510072  .

2.5 Shapiro-Verzögerung

Die Laufzeit des Lichtes von einem Sender zu einem Empfänger wird vergrößert, wenn es eine große Masse M passiert. Der Sender befinde sich bei x1 = -aT, die Masse bei x1 = 0 und der Empfänger bei x1 = aR. Der Lichtstrahl verlaufe in der x1x2-Ebene parallel zur x1-Achse im Abstand x2 = R. Wenn der Lichtstrahl beim Empfänger reflektiert und beim Sender registriert wird, dann gilt:

        a∫R  dx1

t =   2    c′(x-)

       -aT    1

        a∫R

  =   2    -(--dx1-Φ)-

       -aT c 1+ k ⋅c2-

        a∫R    (        )

           dx1        Φ-

  ≈   2     c   1- k⋅ c2

       -aT

        a∫R dx1    k ∫aR

  =   2    -c-- 2c3    dx1Φ

       -aT         -aT

  =   tN + Δt

Der erste Term stellt die Newton’sche Laufzeit dar, der zweite Term die relativistische Abweichung davon. Für letztere ergibt sich:

                a

          2GM  ∫ R   dx1

Δt  =  k ⋅-c3--   ∘R2--+-x2

              - aT         1

       (   2GM     ( ∘ -----2-   ) )aR

    =    k⋅--c3--⋅ln    R2 + x1 +x1

                  ( ∘-------     )  -aT

    =  k ⋅ 2GM-⋅ln   ∘R2-+-a2R-+-aR-

           c3         R2 + a2T - aT

Der erste Versuch zum Nachweis dieser Laufzeitvergrößerung war das Shapiro-Experiment (1970): Ein Radarsignal geht von der Erde aus, geht knapp am Sonnenrand vorbei, wird an der Venus reflektiert und kehrt zur Erde zurück. In diesem Fall ist

                   9

 aT = aE = 149,6⋅109m  :  Abstand Erde- Sonne

aR = aV = 108,21⋅10 m  :  Abstand Venus -Sonne

        R = 6,96⋅108m  :  Radius der Sonne

     M  = 1,989 ⋅1030kg  :  Masse der Sonne

Da R aR und R aE ist, kann der Ausdruck für die Laufzeitverzögerung genähert werden durch

        2GM--   ( 4aEaV)

Δt ≈ k ⋅ c3  ⋅ln   R2

Mit obigen Daten ergibt sich also näherungsweise

Δt ≈ k ⋅9,83μs⋅11,8 = k ⋅116μs

Die folgende Abbildung zeigt Daten aus dem ersten Shapiro-Experiment:

Der obige berechnete Wert für die Laufzeitverzögerung stimmt nur mit den Messwerten überein, wenn k = 2 ist. Wie bei der Lichtablenkung zeigt sich auch hier, dass die Ortsabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit nach der Beziehung c= c(        2)

 1 +2Φ ∕c (1916) die richtige ist.

Solche Experimente wurden in der Folge mit immer größerer Genauigkeit ausgeführt und bestätigten die Beziehung (1916), z.B.

Weitere Angaben und Referenzen zu den Experimenten finden sich in:  http://arxiv.org/abs/gr-qc/0510072  .